Die Beziehung zum Spirituellen / zu Gott ist für die Kinder und Jugendlichen schwieriger zu fassen als die anderen vier Beziehungen der Pfadigrundlagen. Wir alle haben unsere Fragen, die über das Erklärbare hinausgehen, und wir alle können auch Antworten darauf formulieren, auch wenn wir uns bewusst sind, dass diese nicht abschliessend sind. Nur fällt es uns in der gegenwärtigen Gesellschaft schwer, diese Beziehung so zu leben, dass man von Beziehung sprechen kann. Zudem gibt es in der pluralen Welt viele Antworten auf die gleichen Fragen und wir sind zunehmend überfordert mit dem Auswählen. Warum Wasser nach unten fliesst, das ist eine klare Sache. Warum es überhaupt Wasser gibt, dafür gibt es sehr verschiedene Erklärungen.
In der Pädagogik der Pfadi spielt das Erleben eine zentrale Rolle. Was gelernt werden soll, wird erlebt und nicht einfach diskutiert. Nun ist es gerade in der Beziehung zum Spirituellen / zu Gott schwierig etwas zu „erleben“. Man kann Gotteserlebnisse nicht einfach herbeiführen. Man kann nicht etwas erleben, das nicht greifbar, sondern vielmehr eine philosophische Frage ist. Eine Frage, die in erster Linie in Gesprächen geklärt wird. Zwar ist das Gespräch auch eine Form des Erlebens, wirkt aber sehr viel weniger unmittelbar. Um diesem Aspekt des Erlebens gerecht zu werden, wurde in der Pfadi die Methode "Animation Spirituelle" entwickelt, die Gott und das Spirituelle erfahrbar zu machen versucht.
Um den Ansatz der Animation Spirituelle zu verstehen, muss man sich kurz mit dem theoretischen Begriff der Mystagogik auseinandersetzen. Zunächst heisst Mystagogie Hinführung zum Geheimnis. Die Grundidee der Mysagogie geht davon aus, dass bereits geschehen ist, was dann erklärt wird. Zuerst erleben, dann, wenn nötig und erwünscht, deuten. Der Theologe Karl Rahner versteht unter dem Geheimnis: „Der Mensch und seine Beziehung zu Gott.“ Er bezeichnet Mystagogie als den „Weg des Menschen, dem Geheimnis, das ihm durch seine Existenz begegnet, nachzugehen und so in eine bewusste Beziehung zu Gott zu treten“.
Die Mystagogie wird so neu gedeutet: Sie geht davon aus, dass Gott eine Beziehung zu jedem Menschen angelegt hat, bevor sie erlernt wird oder der Mensch danach fragt. Deshalb ist Gott im konkreten Leben in der jeweiligen Lebenswelt jedes einzelnen Menschen erfahrbar. Im mystagogischen Geschehen kann deshalb die Entdeckung des Selbst auch zu einer Erfahrung Gottes führen. Glaube entsteht nicht durch das Füttern von Glaubensinhalten. Gott ist in jedem Menschen immer schon da, und so ist jede Lebensgeschichte gleichzeitig die Geschichte einer Gotteserfahrung (Haslinger). Damit wird auch gesagt: Jeder Mensch ist ein Wesen, das Achtung verdient (weil sich darin Gott zeigen kann).
Mystagogisches Arbeiten ist zunächst eine Grundhaltung, die sich mit folgenden zentralen Begriffen beschreiben lässt: bedingungslose Wertschätzung (der Würde des Menschen), Wegbegleitung, Orientierung am Subjekt und an dessen Lebenswelt. Diese Grundhaltung steht im Einklang mit dem Pfadialltag und den Pfadigrundlagen (den fünf Beziehungen). Die Würde des Menschen, die Wertschätzung, das Begleiten und das Fördern des einzelnen Kindes oder der/des einzelnen Jugendlichen in ihren/seinen Stärken und Schwächen, da wo sie oder er gerade ist (Lebenswelt), ist - ohne gleich an Gott zu denken - mystagogisch.
Übrigens: Wenn wir von Gott sprechen, dann ist damit nicht der christliche Vater von Jesus gemeint. Auch, aber nicht ausschliesslich. Gott ist die Erfahrung, die Menschen verschiedener Religionen machen und benennen. Er ist auch ein Synonym für die Dinge, welche wir nicht begreifen und trotzdem eine Erklärung benötigen.
Wir haben dir ein Dossier "Animation Spirituelle" zusammengestellt, das du runterladen kannst.